Die Hagargeschichte im Alten und Neuen Testament
Mit programmatischen Folgerungen für gesunde Spiritualität
So schön und einladend die Jahreslosung auf uns auch wirkt: Bei näherer Betrachtung der Hagargeschichte, aus der sie stammt, ist diese Feststellung ambivalent. Meint die geflüchtete Sklavin Hagar womöglich eigentlich, dass Gott sie ertappt und gestellt hat? Die Ambivalenz der Vorstellung, von Gott gesehen zu werden, durchzieht alle Religiosität. Aber was dominiert? Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, heißt es im Neuen Testament.
Wer sich von Gott liebevoll angesehen fühlt, hält sich aber gern auch für Gottes Lieblingskind. Unter dem Eindruck erfahrener Feindschaft durch Juden hat sich die ursprüngliche Jesusbewegung gegen das Judentum gewandt und die Hagargeschichte mit diesem Zweck zur Rechfertigung der Ablehnung neu interpretiert. Hagars Ausstoßung, die der Flucht folgte, wurde mit der Ausstoßung Israels identifiziert und gutgeheißen.
Aber zugleich hat sich in der Kirche auch ein immer stärkeres Bewusstsein und Empfinden für Barmherzigkeit und liebevolle Akezptanz herausgebildet. Aus dem Nachzeich- nen und Diskutieren dieser gegenläufigen Vorgänge gehen zusammenfassende Statements hervor, was wir eigentlich unter gesunder Spiritualität zu verstehen haben.